„Für euch ist es nicht das letzte Mal“
Kennt ihr diesen Moment? Als unser Sohn den Kindergarten verließ, schaute ich auf die anderen Mütter. Die mit den Geschwisterkindern. Für sie würde es noch ein zweites Mal geben. Vielleicht sogar ein drittes. Für mich war es das einzige Mal.
Ein wenig Neid? Kann ich nicht sagen. Aber es war definitiv ein Gefühl von: Das ist es jetzt. Der letzte erste Schultag. Die letzte Einschulung. Jahre später dann: das letzte Abitur. Und jetzt: der letzte – der einzige – Auszug.
Wenn man nur ein Kind hat, ist jeder Meilenstein gleichzeitig ein Abschied. Nicht nur von dieser Phase, sondern von dieser Phase überhaupt. Ohne Wiederholung. Ohne „beim nächsten Kind mache ich es anders“. Es ist, wie es ist. Es war, wie es war.
Wenn sich Verluste häufen
Vielleicht trifft mich der Auszug auch deshalb so hart, weil es eben nicht der einzige Abschied in den letzten Monaten war. Meine Mutter starb letztes Jahr im August. Mein Vater folgte ihr dieses Jahr im Mai. Und nun zieht unser Sohn aus.
Es ist kein Tod, klar. Es ist kein Abschied in dem dramatischen Sinne. Aber es ist eine Veränderung, die sich anfühlt wie der Abschluss eines Kapitels. Und manchmal habe ich das Gefühl: Mich versteht keiner.
Die Leute sagen: „Aber das ist doch schön, dass er flügge wird!“ Ja, ist es. Verdammt nochmal, ich bin so stolz auf ihn. Aber darf ich nicht trotzdem trauern? Darf ich nicht vermissen, wie es war? Darf ich nicht gleichzeitig beides fühlen – diesen immensen Stolz UND diese Traurigkeit?
Wenn Verluste sich häufen, wird man irgendwann gut darin zu funktionieren. Man macht weiter. Man steht auf. Man erledigt, was erledigt werden muss. Aber „funktionieren“ ist nicht dasselbe wie „es geht mir gut“.
Das Kinderzimmer wird zum Büro
Mein Mann brauchte keine Woche. Kaum war unser Sohn ausgezogen, stand er mit Farbe und Werkzeug da. „Wir machen dir ein richtiges Büro“, sagte er. Ich glaube, er konnte nicht anders. Die Veränderung musste sichtbar werden, greifbar, um sie verarbeiten zu können.
Seit fast einer Woche sitze ich nun hier. In meinem neuen Büro. An derselben Stelle, wo früher sein Bett stand, steht jetzt mein Schreibtisch. Es ist schön geworden. Wirklich. Aber manchmal schaue ich mich um und sehe trotzdem noch die Poster an der Wand, die längst weg sind. Die Legobauten auf dem Regal.
Die Transformation eines Raumes ist leicht. Die Transformation im Inneren? Die braucht länger.
Funktionieren vs. Fühlen
Dank EFT (Emotional Freedom Techniques) bekomme ich meine Emotionen meistens ganz gut in den Griff. Ich kann ruhig bleiben, wenn andere zusammenbrechen würden. Ich kann rational denken, wenn Gefühle hochkochen.
Aber manchmal – und das habe ich in den letzten Wochen gelernt – ist das auch nicht immer gut und richtig.
Manchmal muss man nicht funktionieren. Manchmal muss man nicht „im Griff haben“. Manchmal muss man einfach die Tür zumachen und still vor sich hin weinen, weil einem danach ist.
Niemand sieht es. Niemand muss es wissen. Aber es ist erlaubt.
Ich vermisse unseren Sohn. Seine Anwesenheit. Die Geräusche. Das Wissen, dass er gleich nebenan ist. Die spontanen Gespräche in der Küche. Die Sachen, die einfach in der Wohnung herumliegen.
Und gleichzeitig bin ich so verdammt stolz auf ihn. Dass er diesen Schritt gewagt hat. Dass er sein Leben lebt. Dass er seinen Weg geht.
Beides ist wahr. Beides darf sein.
Was beim Empty Nest mit nur einem Kind anders ist
Es gibt Studien über das Empty-Nest-Syndrom. Aber die meisten beziehen sich auf Familien mit mehreren Kindern. Wenn man nur ein Kind hat, ist die Erfahrung eine andere:
1. Es gibt keine Ablenkung durch Geschwister Der Fokus lag immer auf diesem einen Kind. Nun ist dieser Fokus weg. Es gibt kein jüngeres Geschwisterkind, das noch Aufmerksamkeit braucht.
2. Die Paarbeziehung wird sofort auf die Probe gestellt Bei mehreren Kindern gibt es Übergangsphasen. Bei nur einem Kind ist man von heute auf morgen wieder nur zu zweit. Ohne Puffer.
3. Jeder Meilenstein war einmalig Wie eingangs erwähnt: Es gab kein „Übungsrunde“. Keine Chance, beim zweiten Kind entspannter zu sein. Alles war das erste und letzte Mal.
4. Die Identität als Eltern wird hinterfragt „Bin ich überhaupt noch Mutter, wenn mein einziges Kind nicht mehr hier ist?“ Diese Frage stellen sich Eltern mit mehreren Kindern seltener.
Was jetzt hilft – ehrlich gesagt
Ich bin noch mittendrin in diesem Prozess. Ich habe nicht alle Antworten. Aber ein paar Dinge helfen mir:
Die Tür zumachen dürfen Dieses neue Büro gibt mir einen Raum. Nicht nur physisch, auch emotional. Hier darf ich sein, wie ich bin. Auch wenn das bedeutet, dass ich manchmal einfach nur weine.
Keine Schuldgefühle fürs Trauern Nur weil er „nur“ ausgezogen ist und nicht gestorben, heißt das nicht, dass der Verlust nicht echt ist. Trauer ist Trauer. Und sie braucht Raum.
Die Ambivalenz aushalten Stolz UND Traurigkeit. Freude UND Vermissen. Das ist kein Widerspruch. Das ist menschlich.
Mit dem Partner reden – auch wenn es schwer ist Mein Mann renoviert. Ich weine hinter verschlossenen Türen. Wir verarbeiten unterschiedlich. Aber wir versuchen, uns zu sehen. Zu verstehen. Auch wenn wir nicht gleich sind.
Neue Routinen finden Das Büro ist ein Anfang. Aber es braucht mehr. Was mache ich mit der Zeit, die ich früher für ihn verwendet habe? Was füllt den Raum, den er hinterlassen hat?
An alle anderen Eltern mit nur einem Kind
Wenn ihr das hier lest, weil euer einziges Kind bald auszieht oder gerade ausgezogen ist: Ihr seid nicht allein.
Es ist okay, traurig zu sein. Es ist okay, gleichzeitig stolz und verzweifelt zu sein. Es ist okay, das Kinderzimmer wochenlang nicht anzurühren. Es ist auch okay, es sofort umzugestalten.
Es gibt kein Richtig oder Falsch.
Für uns war jede Phase einmalig. Das letzte Kuscheltier, das aussortiert wurde. Die letzte Elternsprechstunde. Der letzte gemeinsame Urlaub als Trio. All diese Dinge bekommen eine andere Bedeutung, wenn man weiß: Das war’s. Das kommt nicht wieder.
Aber vielleicht ist genau das auch das Geschenk daran: Wir haben gewusst, dass es einmalig ist. Wir haben nicht gedacht „beim nächsten Mal“. Wir waren präsenter, weil wir wussten, dass es keine Wiederholung gibt.
Mein Fazit nach den ersten Wochen
Ich sitze hier in meinem neuen Büro und schreibe diese Zeilen. Gleich wird mein Mann nach Hause kommen und fragen, wie mein Tag war. Vielleicht wird unser Sohn heute Abend anrufen, vielleicht auch nicht.
Und das ist okay.
Das Leben geht weiter. Nur anders.
Die Stille im Haus ist manchmal schwer auszuhalten. Aber sie gibt mir auch etwas zurück: Raum für mich. Zeit für Dinge, die lange liegen geblieben sind. Die Möglichkeit, herauszufinden, wer ich bin – ohne die konstante Rolle als Mutter im Vordergrund.
Empty Nest mit nur einem Kind fühlt sich an wie das Ende eines Buches. Aber vielleicht ist es auch einfach das Ende eines Kapitels. Und das Nächste ist noch nicht geschrieben.
Ich werde weinen. Ich werde stolz sein. Ich werde vermissen und mich freuen. Manchmal alles gleichzeitig.
Und das ist vollkommen in Ordnung.
Wie geht es euch mit dem Empty Nest? Habt ihr auch nur ein Kind oder mehrere? Ich würde mich freuen, eure Geschichten in den Kommentaren zu lesen.






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